Im Gespräch / Podcast: „Wir wollen nicht die ...
Im Gespräch / Podcast

„Wir wollen nicht die Arbeit verteilen, sondern von jedem Mitarbeiter lernen“

sipgate GmbH
Sigurd Jaiser ist Teil des Geschäftsleitungsteams der sipgate GmbH in Düsseldorf.
Sigurd Jaiser ist Teil des Geschäftsleitungsteams der sipgate GmbH in Düsseldorf.

Auch im Jahr 2021 führen in den meisten Unternehmen nur einige wenige die große Mehrheit an. Seit etlichen Jahren wächst jedoch in immer mehr Firmen ein Bewusstsein, dass Teams auf Augenhöhe, in denen jeder seine persönlichen Erfahrungen einbringen und Verantwortung übernehmen kann, sowohl unternehmerisch erfolgreicher als auch auf dem Arbeitsmarkt gefragter sind. Ein Parade-Beispiel dafür, wie man Karriere in einem agilen Unternehmen definieren kann, ist der Internettelefonie-Anbieter sipgate. Geschäftsleiter Sigurd Jaiser gibt einen Einblick in eine Arbeitswelt, die ohne Boni, Beförderung und Budgets sehr erfolgreich funktioniert.

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Seit wann arbeitet ihr bei sipgate in der agilen Selbstorganisation und was war der erste Schritt zur Umstrukturierung?

Das wichtigste war die Erkenntnis und die Problemerkennung. Bei allem was wir tun, geht es um die Fragen: Wie bringe ich das Team, die Idee und die Firma weiter nach vorne. Das hat mit der klassischen Struktur nicht optimal funktioniert. Wir haben ein paar Sachen ausprobiert und Ende 2009 einen Flyer von der agilen Softwareentwicklungsmethode Scrum gefunden. Auf diesem Zettel stand genau das, was wir wollten: Glückliche Kunden, glückliche Mitarbeiter, mehr Umsatz, schnellere Projektumsetzungen. Gemeinsam mit einer Unternehmensberatung hat sich unsere Softwareentwicklung eigenständig in drei Scrum-Teams eingeteilt. Bereits vier Wochen später war die gesamte Software-Entwicklung mit knapp 30 Mitarbeitern auf die Scrum-Methode umgestellt und der Grundstein war gelegt.

Heute arbeitet ihr konsequent in crossfunktionalen Teams mit Rollen, keiner hat hier eine Weisungsbefugnis. Wie funktioniert das genau? Dauert die Entscheidungsfindung länger?

Es geht wahnsinnig viel schneller – jeder in seiner Rolle bringt die Kompetenz mit, Entscheidungen selber zu fällen. Ich muss nicht mehr auf eine Entscheidung von außen warten. Wenn es zu Unsicherheiten kommt, in welche Richtung wir gehen wollen, übernimmt einer die Patenschaft für diese Idee. Dann wird in einem kurzfristigen Prozess getestet, ob die Idee funktionieren kann. Nun steht schon die Entscheidung zur Umsetzung oder Verwerfung. Die Hauptaufgabe für das Team besteht dann darin, herauszufinden, ob und wie man das Gelingen messen kann. Das ist der größte Teil unserer Arbeit. Die Suche nach Prozessverbesserungen. Auf der einen Seite müssen wir die Dinge umsetzen, auf der anderen müssen wir parallel immer drüber nachdenken, wie können wir manuelle Prozesse in automatisierte überführen, und somit Entscheidungen schneller treffen.

Vielen Arbeitnehmern und auch Young Professionals geht es darum, eine klassische Karriere zu machen. Kann man das bei Euch trotzdem? Wie definiert ihr das?

Wir wollen Menschen einstellen, die besser sind, als die, die bei uns arbeiten. Wir wollen nicht die Arbeit loswerden und neu verteilen, sondern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer fachlichen Kompetenz finden, die wir aktuell noch gar nicht haben und von der wir lernen können. Das eigentliche Abarbeiten können wir später alle gemeinsam machen. Zudem sehen wir „Karriere“ eher als die persönliche Laufbahn von jedem in seinem eigenen Berufsleben: Wo stehe ich, wo will ich hin, beruflich und persönlich. Das eine ist die fachliche Karriere, die man einschlagen kann, das andere ist das Führungsprofil, was man sich aneignet. Bezüglich der fachlichen Entwicklung sind wir alle dazu angehalten, zwei Fortbildungen im Jahr zu besuchen, die von uns alleine ausgewählt werden können. Hier hat auch jeder seine eigene Budgethoheit.

Neben den vielen Freiheiten, auch auf persönlicher Ebene, haben Eure Mitarbeiter natürlich auch Pflichten. Welche sind das?

Führungsaufgaben sehen wir als Service-Leadership: Dem jeweils anderen helfen, seinen Entscheidungsweg zu finden, ohne ihm zu sagen, wie man es machen muss.
Normalerweise führt der Manager mit Erwartungshaltungen, Aufgaben und Zielgesprächen. Bei uns übernimmt jeder einzelne diese Managementaufgaben, für sich selbst und für alle Kollegen. Das fängt beim sogenannten „Peer Recruitung“ an. Einzelne Teams stellen eigenständig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, begleiten die Probezeit und schauen sich am Ende der Probezeit gemeinsam an, ob die- oder derjenige ins Team passt. Inklusive Übernahme- und Entlassungsgesprächen. Klassische Zielgespräche ersetzen wir durch regelmäßige Feedbackgespräche; alle sechs Monate auf Augenhöhe: Jeder Feedbacknehmer, jede Feedbacknehmerin sucht sich einen Feedbackgeber oder Feedbackgeberin aus dem Unternehmen aus. Wir glauben, dass wir dadurch viel mehr voneinander wissen und dadurch sehr viel mehr voneinander lernen können.

Hast Du einen Work Hack, um im Team mit klassischen Hierarchien schneller auf Augenhöhe eine Entscheidung zu finden?

Gut funktionieren unsere Retros. Man betrachtet immer einen definierten Zeitraum und stellt sich folgende Fragen: Was ist gut gelaufen, was sollten wir nicht vergessen, gibt es noch weitere Ideen oder was muss verbessert werden. Hierbei wird oft schnell ein Prozess in Gang gesetzt. Wenn beispielsweise erkannt wird, dass man immer sehr lange auf genau eine Entscheidung von einer Person warten muss, folgt eventuell die Idee, diesen Jemanden früher zu involvieren. Oder es stellt sich die Frage, ob diese Entscheidung überhaupt von ihm getroffen werden muss. Vielleicht gibt es eine Grundlage, auf deren Basis die Entscheidung von anderen getroffen werden kann. Daraus leitet sich meist ab, dass eine Zahlen- und Wissenstransparenz benötigt wird und schon wird der ganze Prozess neu gedacht und überprüft.

Das ganze Interview zwischen Sigurd Jaiser und Ann-Kristin Porst gibt es hier zu hören:

Zur Person: Sigurd Jaiser ist Teil des Geschäftsleitungsteams der sipgate GmbH in Düsseldorf. Gegründet in 2004 steht der erste deutsche Cloud-Telefonie-Anbieter heute für innovative Festnetz- und Mobilfunklösungen für zu Hause, unterwegs und das Büro. Seit der Neustrukturierung in 2010 arbeiten die mittlerweile 230 Mitarbeiter nach den Prinzipien Agilität und Lean und haben ihre Art zu arbeiten in einem Buch verewigt (24 Work Hacks). Sigurd Jaiser, der seit Gründung bei sipgate tätig ist, hat die digitale Transformation und Kulturveränderung miterlebt und mitgestaltet.

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